Skialpinismus – Gedanken nach einer Abfahrt
Mein Herz schlägt vor Anspannung schneller. Ich stehe neben Martin am Abgrund unserer geplanten Steilwandabfahrt. 1800 Höhenmeter klaffen unter unseren Ski. Wir testen den Schnee in der Ostrinne: kalt, pulvrig und homogen. Ich mache einen Schritt zurück, zücke meine Kamera und lasse Martin als mein Fotomodell den Vortritt.
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Wir sind mitten in einer der großen und ernsthaften alpinen Steilwandabfahrten der Alpen. Die ersten gut 200 Höhenmeter vom Gipfel mit rund 45° stimmten uns zuversichtlich. Unsere Planung ging soweit gut auf. Nun klafft unter uns die Hauptrinne, und wir starren bis zum Talboden.
Steilwandskifahren ist nicht einfach Skifahren in schwierigem Gelände – es ist eine völlig andere Disziplin. Ab etwa 45° Neigung wird jede Bewegung zur bewussten Entscheidung. Man fährt nicht mehr beschwingt die Piste hinunter, man kontrolliert jeden Zentimeter, jede Gewichtsverlagerung. Die Skikanten müssen perfekt greifen – ein Sturz bedeutet Lebensgefahr. Lawinen, Steinschlag, Gletscherspalten: Die Gefahren sind umfassend, und meist ziehen sie ernsthafte Konsequenten mit sich. Das Spiel mit dem Risiko ist immanenter Teil des Sports. Steilwandskifahrer gehen dieses Risiko bewusst ein.
Wir können nicht behaupten, wir wären uns der Brisanz dieser Abfahrt nicht bewusst. Der Name ist „Säullahnrinne“ – Lahn ist der Austriazismus für Lawine, der Name stammt nicht von ungefähr. Die Rinne misst fast 2000 Höhenmeter und gilt als selten befahren – der Zustieg ist langwierig, das Timing entscheidend sowie das Commitment hoch. Einmal in der Rinne ist man in der Schussbahn von allem, was über einem hängt, ausgesetzt: eine Welt ohne Plan B, ohne Verhandlungen, kein Entkommen.












Nun stehen wir an der steilsten Stelle der Abfahrt: 48-50° – ein gutes Stück unter dem absoluten Maximum der steilen Skiwelt, aber für mich heute knapp über meinem Limit. Ich fahre vorsichtig Schwung an Schwung Voraus. Der Schnee klebt an meinen Skiflächen, die Skikanten greifen nicht mehr, sondern rutschen nur noch weg. Ein normales Weiterkommen ist fraglich. Ich sichere mich mit meinem Eispickel in der einen Hand, und versuche mit der anderen per Skistock den Schnee von den Ski zu bekommen. Wir brauchen eine gute halbe Stunde für nur 50 Höhenmeter.
Natürlich ist da die Gefahr: Lawinen, versteckte Felsen, Geltscherspalten – die Risiken sind real. Ich fahre ungern ohne erfahrene Partner und ohne gründliche Planung. Aber selbst mit aller Vorbereitung bleibt ein Restrisiko, das sich nicht wegplanen lässt.

Endlich haben wir die Schlüsselstelle gemeistert. Wir verschnaufen kurz, doch lange Zeit bleibt uns nicht. Denn nun warten weitere 1300 Höhenmeter Abfahrt auf uns – zwar in deutlich flacherem Terrain, aber alles andere als risikoarm: Links und rechts steilen sich die Flanken auf, kleinere Schneerutsche und Nassschneelawinen donnern die Flanken hinunter. Die Schlüsselstelle hat uns zu viel Zeit gekostet, es wird zu spät, zu warm. Und unsere Abfahrtslinie ist von riesigen Bahnen alter Lawinen durchzogen – haushoch türmen sich die Wände aus Schnee und Gestein auf. Links und rechts rollen Steine und kleinere Nassschneerutsche in die Rinne.
Als wir endlich im Tal stehen, die Beine schwer wie Blei, schaue ich zurück. Von hier unten ist scheint die Rinne massiver, aber auch deutlich flacher. Würde ich diese Abfahrt nochmal machen? Die ehrliche Antwort: vermutlich nicht. Aber genau das macht sie wertvoll. Manche Abfahrten macht man besser nur einmal. Es bleiben die Bilder, die Erinnerung an 24 Stunden am Limit und die stille Genugtuung, gewusst zu haben, wann es genug ist. Die Säullahnrinne hat uns gelehrt, dass nicht jedes Abenteuer wiederholt werden muss.
Dieser Artikel erschien auch in „Alps“ Magazin, November 2025.
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